20 Oktober 2017

Im Parka an der Tankstelle

Die Benzinpreise zogen in jenen Tagen und Wochen an, sie übersprangen die Grenze von einer Mark pro Liter. Der Supermarkt, in dem ich neben dem Gymnasium arbeitete, versuchte trotzdem, die Preise niedrig zu halten; entsprechend war der Ansturm.

Meist verließ ich die Schule gegen ein Uhr mittags, fuhr mit dem Bus nach Hause, aß etwas und fuhr dann mit dem Fahrrad zur Arbeit an der Tankstelle. Samstags schwänzte ich manchmal die Schule, um morgens früh zur Arbeit zu erscheinen.

Es waren die frühen 80er-Jahre, ich war jung und bekam keinen Pfennig Taschengeld. Ich wollte aber Krachmusik, Heftromane und Comics kaufen, ich wollte ins Kino gehen und Bier trinken – also brauchte ich Geld, und dafür musste ich arbeiten.

Der Samstag, den ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen werde, war besonders. Das Wetter war feucht und kühl, und die Autofahrer standen in endlosen Schlangen, um bei uns zu tanken. Ich hatte mir eine Palette ins Freie gelegt, auf der ich die meiste Zeit stand; die Kälte kroch nämlich von unten in die Füße.

Ich kassierte an den Zapfsäulen direkt ab, lief dabei zwischen den Autos und den Zapfsäulen hin und her. Theoretisch konnten sechs Autos parallel betankt werden; es war viel los. Das Bargeld steckte ich in die Taschen meines Parkas, weil es der offizielle »Geldbeutel« bald nicht mehr fassen konnte.

Irgendwann verlor ich den Überblick, wieviel Geld ich einnahm. Die meisten Leute machten den Tank voll und ließen hinterher einen 50- oder 100-Mark-Schein bei mir. Mit einer Karte zahlte niemand, alles wurde in bar entrichtet. Manche Leute wollten Belege, die ich handschriftlich ausstellte.

Und nebenbei musste ich noch das Leergut annehmen und zählen; das Leergutlager war direkt neben der Tankstelle. Das war ganz praktisch, weil ich so immerhin für einige Sekunden in meinem kleinen Büro durchatmen und die Wärme genießen konnte.

Zwischendurch hatte ich Mini-Pausen: Wenn jemand von den Kollegen kam, um etwas im Getränkelager zu erledigen, rannte ich zur Toilette; in der Zeit musste er die Kunden beruhigen, die unbedingt bezahlen wollten, oder er nahm sogar Geld an, wenn sie es passend hatten. Zweimal ließ ich mir belegte Brötchen bringen. Weil wir personell unterbesetzt waren, kam ich von der Tankstelle nicht weg.

Die Benzindämpfe lullten mich fast ein, die feuchte und kühle Luft sorgte dafür, dass ich nicht einschlief. An den unaufhörlichen Stress – hier die Tankstelle, da die Leergutannahme, beides mit Rechnen verbunden – hatte ich mich in den Tagen zuvor schon gewöhnt.

Alle waren entsetzt, als ich am späten Nachmittag – es dunkelte bereits – zur Abrechnung ins Büro des Supermarkts trat und zeigte, was ich in der Innentasche meines Parkas hatte. Ich brauchte eine Weile, bis ich alles geleert hatte; sogar die Hosentaschen hatte ich voll.

Die Scheine bildeten einen großen Haufen Papier auf dem Tisch. Sogar zwei 500-Mark-Scheine waren darunter, ich hatte das Geld achtlos in alle Taschen gestopft.

Die Verkäuferinnen starrten mich an. Ich trank heißen Kaffee mit einem Schuss Schnaps, weil ich ziemlich durchgefroren war, und überließ der Chefkassiererin das genaue Zählen. Weil es so viel Geld war, wurde zweimal gezählt; zwischendurch wurde nachgemessen, wieviel Benzin und Diesel aus den Tanks entnommen worden war.

Am Ende hatte ich über 30.000 Mark in den Taschen, einen Haufen zerknülltes Papier, das mir in diesen Augenblicken völlig egal war. Mein Stundenlohn betrug sechs oder sieben Mark, mehr bekam man nicht in diesem Jahr.

Ich war 17 Jahre alt, hatte den Kopf voller Flausen, träumte von Raumschiffen und hörte Krachmusik, las Heftromane und Comics, die alle anderen doof fanden, arbeitete und schrieb Geschichten. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, auch nur eine Mark von diesem Geld für eigene Zwecke abzuzweigen.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Das kommt mir irgendwie bekannt vor :)
Ich habe eine Zeitlang in Murhardt Samstags an einer Tankstelle ausgeholfen. Da wurden die Autos noch vom Tankwart (mir) betankt.
Solchen Ansturm hatten wir dort aber nicht. Das ist ja echt der Wahnsinn.
Sehr stark sind noch zwei Begebenheiten in meinem Gedächtnis verankert: Zum einen kam da ein Jaguar, dem ich 70ltr. in seinen Tank füllte. Der Tank war hinten rechts oben am Kotflügel. So viel hatte ich noch nie in ein Auto gefüllt. Tja, da meinte der Fahrer ob ich beide Tanks betankt hätte. Der hatte doch tatsächlich hinten links nochmal so ein Ding. Am Ende tankte der 135ltr.
Das andere Erlebnis war ein Goggomobil. Den betankte ich auch und wollte ihm knapp über 40ltr. berechnen. Öhm, der konnte nur max. 25ltr tanken, wurde ich belehrt. Da hatte ich doch an der Säule für Mischung (Benzin-ÖL-Gemisch) vergessen den Zeiger zurück zu stellen. Das musste da immer noch manuell erfolgen.
Am übelsten war es mir immer wenn die Typen direkt neben der Zapfsäule geraucht haben.
Bezahlt wurde alles in bar und der Spritpreis war unter 1 DMark. Zwischen 50 und 70 Pfennig, ich weiß es nicht mehr genau.
Und verdient habe ich genug für eine Kinokarte und ein oder zwei Bier. Kino kostete 2,-- DM für die Loge. "Little Big Man" und "Ein Mann den sie Pferd nannten" waren gerade "in".

Elena hat gesagt…

Wenn alle so viel Ehre besäßen, wie Du sie damals schon mit 17 Jahren hattest, dann sähe die Welt um einiges besser aus.