21 August 2017

Auf belgisch in den Westen

Ich hatte zwar schon einen Führerschein, aber noch kein Auto, vor allem hatte ich kein Geld. Also reiste ich per Anhalter, im Sommer 1984 völlig normal. Um von Berlin zurück in den Westen zu kommen, stellte ich mich in aller Frühe am Grenzübergang Dreilinden auf.

Es war gegen sieben Uhr, ich war einer der ersten. Ich wollte weg sein, bevor der Grenzübergang von Heerscharen von Anhaltern bevölkert wurde, die über die Transitstrecke nach Westdeutschland wollten. Das hielt ich für eine gute Idee.

Der Fahrer, der hielt, war ein Belgier. Normalerweise hätte ich bei ihm und seiner Sportkarre nicht einmal den Daumen rausgehalten; solchen Fahrer nahmen einen nie mit. Er kurbelte die Scheibe herunter und fragte in sehr gutem Deutsch: »Hast du einen Führerschein, kannst du fahren?«

Ich bejahte, sagte aber nicht, dass ich so gut wie keine Fahrpraxis hatte. Es hätte ihn kaum interessiert. Nicht einmal meinen Führerschein wollte er sehen. Der Typ sah aus, als hätte er die Nacht durchgemacht, stank nach Alkohol und Rauch und Schweiß. Ich platzierte mich auf dem Fahrersitz, er krabbelte auf die Seite, dann lehnte er den Kopf zurück und pennte ein.

Problemlos kam ich durch die Zollkontrollen, langsam schaukelte ich durch die DDR. Am Grenzübergang bei Braunschweig wurden wir nur nachlässig kontrolliert. Der Belgier wurde kurz wach, schlief dann sofort weiter.

Wohin ich genau wollte, interessierte ihn nicht. Das Ruhrgebiet, wo ich Punks besuchen wollte, lag für ihn eben auf der Strecke. Als Fahranfänger hielt ich mich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, zudem fühlte ich mich mit dem Sportwagen sehr unsicher.

Irgendwann wurde er wach, schaute auf die Uhr und ärgerte sich. Ich fuhr ihm zu langsam. »So komme ich ja nicht pünktlich nach Hause«, zeterte er lautstark. Wir wechselten die Sitze, und er fuhr weiter.

Mit Restalkohol, den ich nicht schätzen konnte, und mit ständig überhöhter Geschwindigkeit rasten wir durch Niedersachsen. Der Belgier hörte laute Musik, saß verkrampft am Steuer, starrte durch die Windschutzscheibe und brabbelte zornig vor sich hin.

Bei Hamm ließ er mich aussteigen. Wahrscheinlich konnte er mich nicht mehr sehen. Ich war nicht einmal traurig darüber und kaufte mir an der Tankstelle erst einmal ein Bier, um meine Nerven zu beruhigen.

Das waren die 80er-Jahre. Manchmal denke ich, dass ich froh sein kann, sie überlebt zu haben.

1 Kommentar:

RoM hat gesagt…

Hoi, Klaus.
Ob der Knabe, bei dem Lebenswandel, noch am Leben ist!?

bonté